Wer schreibt hier? Cheryl Howard von cherylhoward.com ist genau das, was man eine Superheldin nennen könnte: Agile Coach tagsüber und Reisebloggerin nachts – die Kanadierin erzählt uns hier von ihrem Umzug nach Berlin. Von ihrer Heimatstadt in Kanada in eine der aufregendsten und schnellsten Städte der Welt! Bisher hat Cheryl bereits 38 Länder besucht und sie ist noch lange nicht fertig mit dem Reisen…
Aus dem Englischen übersetzt.
Es gab da eine Zeit in meinem Leben, in der ich dachte, ich werde Toronto niemals verlassen. Ich habe meine Heimatstadt geliebt (und tue das auch immer noch), aber es hat mir immer etwas gefehlt. Es hat auch ziemlich lange gedauert, bis ich herausgefunden habe, was es ist.
Also so grundsätzlich gesehen schien Alles eigentlich ganz gut zu laufen für mich. Ich hatte ein Haus, einen Job, nebenbei studierte ich noch, habe viel Sport gemacht, bin häufig gereist und war auch regelmäßig auf coolen Events und Partys. Aber trotz dieser Umstände war ich relativ unglücklich, die tieferen Gründe dafür haben hier jetzt keinen Platz.
Irgendwann verlor ich dann meinen Job, und das war auch ungefähr zur selben Zeit als ich mein Haus verkaufte. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich auch in einer finanziell stabilen Lage und beschloss darum, eine Auszeit zu nehmen. So kam es, dass ich ganze zwei Jahre nicht gearbeitet habe. Und es war die beste Therapie für mich, die ich je hätte machen können. Während dieser Zeit habe ich erst so richtig mit dem Reisen angefangen, mich in Europa verliebt und beschlossen, nach Berlin zu ziehen.
Deutschland als neuen Wohnort zu wählen, war unter anderem auch deshalb naheliegend, weil ich hier relativ gute Chancen hatte einen Job zu finden. Die zentrale Lage ist außerdem die optimale Basis zum Reisen durch ganz Europa. Irgendwie bin ich auf jeden Fall dann in Berlin gelandet (fast wäre ich nach München gezogen!), und ich habe die Entscheidung nie bereut. Ich weiß, dass sehr viele Leute Dasselbe fühlen, aber Berlin ist einfach “ich” und hier fühle ich mich am allermeisten zu Hause.
By the way: In einem sehr netten und exklusiven Interview haben wir uns mit Cheryl Howard unterhalten und über viele Dinge gesprochen. Schau dir das ganze Interview an in unserer Rubrik Blogger of the month.
Die „Berliner Schnauze“…
Ich muss sagen, Kanadier sind einfach viel freundlicher als Deutsche. Es ist nicht so, dass Deutsche generell unfreundlich sind (wobei die berüchtigte Berliner Schnauze schon echt hart sein kann), sie sind einfach weniger gesprächig als Kanadier. Wann auch immer ich nach Hause fahre, merke ich sofort den Unterschied. Jeder entschuldigt sich sofort, wenn man sich nur unabsichtlich berührt oder fragt wie es einem geht. Obwohl ich die meiste Zeit meines Lebens in Kanada verbracht habe, fühlt sich die Freundlichkeit mittlerweile sogar für mich schon fast seltsam an.
Weitere Unterschiede? Deutsche und auch die meisten anderen Europäer nehmen ihre Urlaubstage SEHR ernst. Da ich aus einem Land komme, in dem es nur 2-3 Wochen Urlaub pro Jahr gibt, sind diese 5-6 Wochen für mich kaum zu glauben. Letztes Jahr habe ich es nicht einmal richtig geschafft, meine Urlaubstage aufzubrauchen. Was ich an Deutschland auch besonders liebe, ist, dass Obst und Gemüse in Deutschland nur saisonal erhätlich sind.
…und andere kulturelle Unterschiede.
Mich mit den kulturellen Unterschieden anzufreunden, war auf jeden Fall ein bisschen schwieriger als gedacht und es hat eine Weile gedauert, bis ich herausgefunden habe, welche es eigentlich sind und wie ich damit umzugehen habe. Dabei geht es nicht nur darum, dass man beispielsweise in der deutschen Sauna vor allen anderen nackt ist (definitiv eine neue Erfahrung für eine Person, die in einem konservativ-christlichen Haushalt aufgewachsen ist) bis zu Schwierigkeiten beim Small Talk oder die Art, wie ein Arzt dich untersucht.
Während manche Dinge anfangs schockierend scheinen, hat es mir eigentlich immer geholfen, Fragen zu stellen, versuchen zu verstehen, geduldig zu sein und gewisse Situationen nicht als Weltuntergang anzusehen. Man sollte sich immer klar machen, dass man in einem neuen Land bist, in dem Dinge einfach anders laufen und deswegen versuchen, mit den Hürden umzugehen. Es hat mir geholfen, einfach nicht zu erwarten, dass die Dinge so laufen, wie man es gewohnt ist. Am besten versucht man, mit mit den ungewohnten Zuständen Spaß zu haben und einfach mal ein bisschen mit dem Strom zu schwimmen.
Ich wurde auch oft gefragt: “Hey Cheryl, findest du es einfach, dich mit Deutschen anzufreunden?”. Und ich muss sagen, ja! Nachdem ich mit Deutschen arbeite und auch viele andere über die Jahre in Bars oder Cafés kennen gelernt habe, fällt es mir mittlerweile leicht, mich mit ihnen zu connecten. Irgendwie habe ich die Fähigkeit relativ leicht Freunde zu finden, und das, obwohl mir zuvor viele Leute gesagt haben, dass Deutsche ein unfreundlicher Haufen sind und es schwierig ist, sie kennenzulernen. Ich kann das absolut nicht bestätigen und freue mich, mit vielen Deutschen befreundet zu sein. Lies dazu gern meinen Artikel darüber, wie man nach dem Umzug nach Berlin Freunde findet.
Obwohl es mir mittlerweile leichter fällt, kulturelle Unterschiede zu verstehen, ist besonders eine Sache für mich immer noch ein bisschen ungewohnt: in Berlin wird überall Akohol verzerrt. Das würde es in Kanada niemals geben. Egal zu welcher Uhrzeit, es ist absolut nicht ungewöhnlich, dass man sich in den Öffentlichen Verkehrsmitteln ein schnelles Bier gönnt.
Umzug nach Berlin. Hin, zurück. Und wieder hin!
Das erste Mal bin ich 2011 nach Berlin gezogen und 18 Monate später wieder weggezogen. Der Umzug brach mir das Herz und ich habe hart dafür gearbeitet, wieder zurückkehren zu können. Glücklicherweise habe ich es zwei Jahre später auch geschafft. Es gab keinen besonderen “Aha” Moment, aber ich habe sofort wieder in mein altes/neues Leben zurückgefunden. Es war, als wäre ich nie weg gewesen! Die Zufriedenheit, die ich verspürt habe, war teilweise so überwältigend, dass ich konstant in einem sehr emotionalen Zustand war. Obwohl es auch schwer war, Toronto ein zweites Mal zu verlassen, war mein erneuter Umzug nach Berlin einfach die richtige Entscheidung.
Berlin hat mir so viel beigebracht. Es ist so eine vielfältige und offene Stadt. Berlin ist auf keinen Fall perfekt, aber es ist der Ort, an dem ich mein bestes Ich sein kann. Ich muss sagen, ich finde es auch nicht unbedingt einfach hier zu leben. Wer hier etwas erreicht, der hat es wirklich geschafft.
Auch ich habe lange gebraucht, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Ich hatte sehr zu kämpfen! Aber mittlerweile kann ich mich eigentlich gar nicht beschweren. Ich liebe meine Jobs (tagsüber bin ich Agile Coach und nachts Reisebloggerin), habe einen tollen Freundeskreis und die Chance, sehr viel zu reisen. Vermutlich werde ich sehr bald auch eine unbefristete Aufenhaltsgenehmigung bekommen! Und natürlich hat Berlin auch meine Garderobe beeinflusst… sie besteht fast nur aus schwarzen Klamotten! Ich trage kaum mehr Farbe und sehe aus, als würde ich jederzeit einen Abstecher ins Berghain machen;)
Was passiert nach der rosaroten Berlin Brille?
Zu Beginn muss ich eines klarstellen – ich liebe Berlin wirklich. Aber natürlich gibt es auch hier Hürden, die man überwinden muss. Denn den perfekten Ort gibt es nicht und auch hier legt man seine rosarote Brille irgendwann ab.
Diese Honeymoon-Phase ist bei mir lange vorbei, immerhin bin ich fast sechs Jahre hier. Ich habe sogar angefangen, mich auch über jede Kleinigkeit zu beschweren, so wie jeder Berliner das macht. Die kleinen Frust-Bringer des Lebens in der Hauptstadt beinhalten beispielsweise unzuverlässige öffentliche Verkehrsmittel, steigende Mieten und das Zurechtkommen mit der Bürokratie.
Meine TOP 3 Horrorszenarien in Berlin:
- Sich durch die Bürokratie kämpfen – beispielsweise das Anmelden einer Adresse oder das Eröffnen eines Bankkontos.
- Die Sprachbarriere – egal, was andere sagen, man sollte Deutsch können, wenn man plant hier zu wohnen.
- Das Arbeiten in der turbulenten Startup-Szene and das ständige Wechseln von Jobs mehrere Male innerhalb von drei Jahren. Jeder neue Job hieß auch ein erneutes Beantragen eines Visas und es war jedes Mal aufs Neue eine Zerreißprobe.
Meine TOP Tipps für Neulinge und Wannabes
Berlin Newbies sollten einfach genießen, was die Stadt zu bieten hat – Kunst und Kultur, Essensvielfalt aus aller Welt, unglaubliches Nachtleben und dann auch noch Natur – ob es Sonnenbaden im Park ist oder Schwimmen in einem der wunderschönen Seen.
Man sollte auf jeden Fall vermeiden, nur mit internationalen Freunden abzuhängen. Dann verpasst man wirklich etwas! Man sollte auch versuchen, nicht nur Englisch zu sprechen.
Was auch nicht gern gesehen ist, ist vorzugeben sich in Berlin auszukennen und anderen zu erzählen, wie gut man Berlin kennt, wenn man eigentlich erst ein paar Monate hier ist. Viele Neulinge haben sich lustig gemacht, als sie erfahren haben, dass ich in Lichtenberg wohne und nicht in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Ich finde es schwierig, solche Urteile zu akzeptieren. Immerhin haben sie keine Ahnung, dass ich eine große Wohnung habe, weniger Miete zahle als die meisten und in den meisten coolen Kiezen in 15-20 Minuten bin.
Meine 3 TOP Empfehlungen für alle, die nach Berlin ziehen wollen:
- Bereite dich gut vor, bevor du hierher kommst. Finde heraus, was du machen sollst und wie und mache erst dann Pläne. Es ist auch mittlerweile nicht so schwierig, da man alles online finden kann, ob auf Blogs oder offiziellen Webseiten bis hin zu Facebook Gruppen. Es gibt auch einige professionelle Anbieter, die dabei helfen, dir deinen Start in Berlin ganz einfach zu machen.
- Melde dich für einen Deutschkurs an. Am besten noch bevor du hierherkommst oder sobald du ankommst. Das ist wirklich unverzichtbar!
- Der finanzielle Puffer. Du wirst ihn brauchen! Solltest du in deiner Probezeit gekündigt werden, kann es passieren, dass du nur den Lohn für zwei Wochen bekommst und wenn du weniger als ein Jahr hier warst, bedeutet das auch, dass du keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hast. Wenn du hierzu Hilfe suchst, lese meinen Guide zur Jobsuche in Berlin.
In Berlin leben? Heißt ganz Europa easy kennenlernen.
Ich versuche pro Monat eine kleine Reise zu machen. Diesen Sommer habe ich mir vorgenommen ein bisschen mehr von Deutschland zu sehen und ich habe ein paar Wochenenden in Lüneburg und Bremen verbracht. Besonders Bremen hat mir gefallen, beispielsweise das Schnoorviertel, denn es sieht aus wie aus einem Märchen. Auch das Gebiet unten am Fluss hat mich beeindruckt, dort habe ich sogar auf einem alten Segelschiff, das an der Weser geparkt war, zu Abend gegessen.
Mein absolut liebstes Reiseziel war aber immer schon Budapest, wo ich auch diesen Februar wieder war. Vermutlich war ich dort jetzt schon über zehn Mal. Das Stadtbild ist absolut umwerfend, die Ruinenbars sind ungefähr die coolsten Orte, an denen man abhängen kann, und es gibt so viele seltsame und unkonventionelle Dinge, die man unternehmen kann. Wie zum Beispiel eine Tour im Dunkeln, um herauszufinden, wie sich das Leben für Menschen mit Sehbehinderung anfühlt („Invisible Exhibition”) oder stundenlang Flipper im Flipper Museum zu spielen. Lies dazu meinen Wochenend-Guide für Budapest.
Und wenn ich eine kleine Pause von Berlin brauche, dann verschnaufe ich im Vabali Spa. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders als in Berlin zu sein. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt? Für alle Interessierten lest hier meinen Guide zum Wohnen in Berlin.
Übrigens: Wir hatten ein ganz tolles Gespräch mit Cheryl Howard in unserer Kategorie Blogger of the Month. Zum ganzen Interview mit der Berlin-Zugezogenen hier entlang.
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